Persönliche Gesundheit

Nicht zu viel Behandlung, aber auch nicht zu wenig

Unkomplizierte Halsschmerzen klingen im Schnitt nach drei bis fünf Tagen von selbst wieder ab, selbst wenn sie ein paar Tage mit erhöhter Temperatur einhergehen. Manche Patienten wünschen sich vom Hausarzt ein Antibiotikum – in der Hoffnung, dass die Krankheit dann schneller vorbeigeht. Doch die Mittel helfen in den meisten Fällen überhaupt nicht, weil Halsschmerzen überwiegend von Viren verursacht werden, gegen die Antibiotika nichts nutzen. Das Mittel kann dem Patienten sogar schaden, falls es beispielsweise Übelkeit verursacht. Verlässt er die Hausarztpraxis mit einem Antibiotikum-Rezept, dann wurde er überversorgt.

Eine neue Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (Degam) – ein Leitfaden für die bestmögliche medizinische Behandlung – soll helfen, solche Überversorgung bei Hausärzten einzudämmen. Ebenso spricht sie Bereiche an, in denen Patienten unterversorgt sind, also keine oder erst zu spät eine Therapie bekommen.

Die Autorinnen und Autoren der Leitlinie haben Empfehlungen aus bereits veröffentlichten Leitlinien zu bestimmten Krankheiten zusammengetragen, in denen Über- und Unterversorgung thematisiert werden. Von Hunderten solcher Empfehlungen kamen 26 in das aktuelle Dokument. Sie beschäftigen sich vor allem mit besonders häufigen Krankheiten oder solchen, bei denen die Betroffenen einen sehr starken Leidensdruck haben. Es geht dabei nur um Behandlungen, an denen Hausärzte beteiligt sind. 21 der Empfehlungen sollen Überversorgung vorbeugen, fünf sollen auf drohende Unterversorgung aufmerksam machen.

Drei Beispiele:

1. Früherkennung von Hautkrebs und Prostatakrebs: Ist es wirklich sinnvoll, dass alle Menschen sich regelmäßig auf Hautkrebs untersuchen lassen? Laut Degam ist der Nutzen eines solchen Hautkrebs-Screenings bisher nicht ausreichend belegt. Die Leitlinie plädiert daher für eine Früherkennung im Einzelfall nach einem ausgewogenen Gespräch über Vor- und Nachteile.

Die Prostatakrebsfrüherkennung mittels PSA-Wert solle Männern nicht aktiv angeboten werden. Falls Patienten von sich aus fragen, sollten sie ebenso wie beim Hautkrebs über Vor- und Nachteile aufgeklärt werden.

2. Müdigkeit: Stellt sich ein Patient mit sogenannter primär ungeklärter Müdigkeit vor, also einer Müdigkeit, für die keine bekannte Ursache vorliegt, sollte der Hausarzt mit geeigneten Fragen abklären, ob der Betroffene eine Depression, eine Angststörung oder eine unerkannte Infektion hat. Hier könne es sonst nämlich häufiger zu einer Unterversorgung kommen, indem Ärzte eine Depression übersehen.

3. Akute Rückenschmerzen: Sie treffen sehr viele Menschen, sind oft auch sehr schmerzhaft – und leider können Ärzte erst einmal wenig tun. Denn bei akutem Schmerz im Rücken sind diagnostische Tests und bildgebende Verfahren wie Röntgen unnötig, wenn es keinen Verdacht auf eine ernst zu nehmende Krankheit als Ursache gibt. Bei nicht spezifischem Kreuzschmerz sollten außerdem keine Schmerzmittel, sogenannte Glukokortikoide oder örtliche Betäubungsmittel gespritzt werden.

Vermutlich fällt es manchen Patienten mit Rückenschmerz schwer zu akzeptieren, dass der Arzt keine weiteren Tests oder Behandlungen empfiehlt, sondern sagt, dass ein Schmerzmittel, ausreichend Bewegung und Geduld jetzt die einzig nötige Medizin sind.

Doch tatsächlich kann auch eine scheinbar harmlose Röntgenaufnahme bei Rückenschmerz Schaden anrichten: Denn bei sehr vielen Menschen sind dort Auffälligkeiten zu entdecken, die gar nichts mit dem Schmerz zu tun haben. Sobald sie sichtbar gemacht wurden, ist jedoch der Druck da, sie auch zu behandeln – mit all den möglichen Nebenwirkungen und Komplikationen, die die folgende medizinische Therapie mit sich bringt.

Ebenso birgt auch die Krebsfrüherkennung beispielsweise bei Prostatakrebs Risiken, weil auffällige Werte weitere Tests nach sich ziehen und weil bei manchen Patienten Krebs entdeckt wird, der dann auch behandelt wird – ihnen aber zu Lebzeiten nie Probleme bereitet hätte.

Ärzte können Überversorgung nur verhindern, wenn sie Patienten gut erklären, was für und was gegen eine Therapie spricht. „Das bedeutet natürlich Aufwand für die Ärzte“, sagt Dagmar Lühmann vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, die an der Erstellung der Leitlinie beteiligt war. „Überversorgung lässt sich nur vermeiden, wenn Patienten nicht einfach zum nächsten Arzt gehen, der ihnen die Behandlung verordnet.“

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